„Acrylschutzwände haben uns über Wasser gehalten“
Keine Messen, keine Feste, keine Veranstaltungen, kein Kino oder Tag der offenen Tür: Als im März das gesamte öffentliche Leben durch die Corona-Pandemie und den Lockdown zum Erliegen kam, stand nicht nur die Gastro-Branche vor einem Scherbenhaufen, sondern auch die Werbeindustrie. Denn: „Lockdown heißt keine Werbung heißt keine Aufträge“, erinnert sich Oliver Haaga, Geschäftsführer von visityou.de. Von einem Tag auf den anderen brachen dem 13-Mitarbeiter großen Druck- und Werbetechnik-Spezialisten mit Sitz in Leinfelden-Echterdingen alle Aufträge weg. Doch weil Haaga nicht der Typ ist, der den Kopf in den Sand steckt, machte er kurzerhand aus der Not eine Tugend und stellte seine Produktion innerhalb von 48 Stunden auf Schutzwände aus Acrylglas um.
Geholfen hat ihm dabei vor allem eine Investition, für die er noch im Jahr zuvor von so manchem Kollegen belächelt wurde. Gemeint ist eine vertikale CNC-Fräse von Harmuth mit allem Drum und Dran: Kamera zum Auslesen der Schneidemarken, Vakuumtisch und automatischen Werkzeugwechsel, um nur einige Punkte zu nennen. „Manche Leute wollen eine Harley oder einen Ferrari – ich will eben geniale Maschinen. Zum Glück war ich so irre, die Fräse zu kaufen“, so Oliver Haaga lachend. Denn als die Entscheidung für die Fräse fiel, hatte visityou.de noch nicht einmal Fräsaufträge. Feststand eigentlich nur, dass Kunstdrucke, die zuvor auf Folien gedruckt, auf Plexiglas kaschiert und danach auf Aluverbundplatten montiert wurden, schneller, automatisierter und vor allem noch sauberer hergestellt werden sollten. Doch kaum war die Maschine in die Räumlichkeiten in der Nähe des Stuttgarter Flughafens eingezogen, war auch die Nachfrage da – zumindest bis zum Lockdown.
Von Werbeprodukten zu Acrylschutzwänden
Die Frage nach dem „was nun?“, hat sich Haaga schnell selbst beantwortet: „Normalerweise bedrucken wir Plexiglas für hochwertige Kunstdrucke. Unbedruckt haben wir das Zeug nie rausgegeben. Doch dann kam mir die Idee zu den Spuckschutzwänden. Wir haben eine kleine Anzahl ausgefräst, damit bin ich dann zu den Läden in der Nachbarschaft gegangen. Nach zehn Minuten hatte ich fünf Stück verkauft. Das war der Moment, an dem ich wusste, dass das Produkt funktioniert.“ Haagas Team hat daraufhin aus dem Nichts heraus einen kleinen Katalog erstellt – dann wurde die Werbetrommel gerührt: Über das persönliche Netzwerk, Whatsapp, Facebook, per Newsletter oder über Flyer, selbst vom Chef im Industriegebiet verteilt. Und die Rückmeldungen waren enorm. „In den ersten vier Wochen waren es vor allem Arztpraxen und Apotheken und all die Läden, die als systemrelevant galten und weiter geöffnet bleiben durften“, so Haaga.
Die CNC-Fräse war in dieser Zeit fast rund um die Uhr im Einsatz. „Das war der ultimative Härtetest für die Maschine.“ Ein größeres Problem sei da schon der Nachschub an Acrylglas gewesen, denn zwischenzeitlich war der Markt schlichtweg ausverkauft gewesen. Einen Engpass gab es bei visityou glücklicherweise nicht. „Und als alle Praxen, Apotheken und Co. ausgestattet waren, wurde der Lockdown sukzessive zurückgefahren. Das heißt, es kamen Banken, Autohäuser, Bibliotheken, Schulen, Universitäten und Kantinen dazu. Wir haben querbeet alle Branchen bedient.“ Damit hat Haaga das weggebrochene Geschäft zwar nicht zu 100 Prozent auffangen können, aber „es hat uns definitiv über Wasser gehalten“. So wurde nur kurzzeitig Kurzarbeit angemeldet und es mussten keine Mitarbeiter entlassen werden.
In der Krise investiert visityou.de
Ganz im Gegenteil, denn Oliver Haaga hat die Zeit seit dem Lockdown genutzt, um sich Dienstleistungen ins Haus zu holen, die er bisher an Kollegenbetriebe vergeben musste: So gehören nicht mehr nur die CNC-Fräse von Hartmuth, der eineinhalb Jahre alte Large-Format-UV-Plattendrucker Anapurna H2050i LED von Agfa, das Bogen-Digitaldrucksystem Ricoh Pro C7200, ein Rollsroller-Kaschierer, ein Lasergraviersystem und jeder Menge kleinerer Weiterverarbeitungssysteme und Kuvertiermaschinen zum Maschinenpark von visityou. Vor kurzem hat Oliver Haaga zudem in ein Folienkaschiersystem GMP Qtopic samt Goldfolienapplikation, eine Biegemaschine für Acrylglasprodukte, und einen Docucutter DC-646 von Duplo investiert. Ein weiteres Duplo-System zum (Kontur-)Schneiden, Perforieren, Nuten, Rillen und Schlitzen soll in den nächsten Wochen installiert werden.
Damit kann der Druck- und Werbetechnik-Spezialist künftig sämtliche Arbeiten im eigenen Haus anbieten – Flexibilität, um auf Sonderanforderungen einzugehen inklusive. Schließlich will Haaga „der modernste Digitaldruckdienstleister für Werbetechnik im Raum Stuttgart werden“, erklärt er im Gespräch mit Sign&Print. Wichtig sei dabei nicht nur, ein möglichst breites Produktespektrum anzubieten, wie es visityou.de bereits tut, sondern „möglichst viel zu automatisieren und die Abläufe schlank zu halten“, so der Fachmann. „Denn man kann mit Kleinauflagen – und dahin geht ja der Trend – durchaus Geld verdienen, aber man muss schnell sein; schnell und hochwertig.“
Und was kommt jetzt?
In den letzten Monaten wurden bei visityou.de zu 98 Prozent Spuckschutzwände aus Acrylglas hergestellt, in allen möglichen Formaten und Formen. Auch Bodenaufkleber und Etiketten, unter anderem für Desinfektionsmittel, wurden stark nachgefragt. Doch so langsam sind alle Unternehmen, Branchen, Einrichtungen versorgt und ausgestattet. „Im Prinzip ist das Geschäft durch, auch wenn es noch immer ein paar Nachzügler gibt“, erklärt Haaga. Und während er – wie vermutlich alle Werbetechniker – darauf wartet, dass Messen, Feste, Konzerte oder Tage der offenen Tür wieder stattfinden dürfen und damit auch die Nachfrage nach Werbeprodukten wieder steigt, hat Haaga längst schon wieder einen Plan. „Im Prinzip geht es um Spezialisierung, man muss neue Produkte erfinden. In der Produkterweiterung liegt die einzige Chance, noch etwas abzugreifen, aber nur zusammen mit einer möglichst automatisierten und schlanken Produktion.“ Und dafür sieht sich der Druck- und Werbetechnik-Spezialist wiederum bestens gerüstet. Und dann wäre da ja auch noch der Digitaldruckrechner für das automatisierte Kalkulieren von Digitaldruckaufträgen sowie der Offsetdruckrechner, der bereits in den nächsten Wochen verfügbar sein wird. Aber dazu ein anderes Mal mehr…
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