Berührungshunger: Warum gerade haptische Werbung so wirksam ist
Olaf Hartmann ist Geschäftsführer der Touchmore GmbH und Gründer des Multisense Instituts für sensorisches Marketing und beschäftigt sich ausführlich mit dem multisensorischen Marketing. Warum gerade haptische Werbung hochwirksam ist, hat er in einer Keynote der PSI Digital erklärt. (Bild: Screenshot)
Haptische Werbung berührt. Das war schon vor der Corona-Pandemie so und gilt heute umso mehr. Denn in einer Gesellschaft, die sich aufgrund der Maßnahmen zur Eindämmung des Virus in eine „Low-Touch-Economy“ verwandelt hat, ist der „Berührungshunger“ der Menschen umso größer. Warum davon vor allem haptische – und damit auch gedruckte – Werbung profitieren kann, was das für Marketers und produzierende Unternehmen bedeutet und welche Rolle ein Auto im Briefkasten dabei spielt, hat Olaf Hartmann, Gründer und Managing Director der Touchmore GmbH bei der PSI Digital erklärt.
Zugegeben, Olaf Hartmann hat nicht explizit über Printprodukte gesprochen, schließlich ist die PSI die Leitmesse der Werbeartikelbranche und damit vor allem auf gegenständliche Werbeträger fokussiert. Doch in Sachen Haptik und multisensorische Ansprache stehen gedruckte Werbemittel dem in nichts nach – vor allem nicht, wenn Sie auf clevere Art und Weise Botschaft, Form und Haptik miteinander kombinieren. Daher ist es auch für Druckdienstleister und Agenturen so wichtig, die Dimensionen und damit die Stärken haptischer Werbung zu kennen.
Budgetschleusen verschieben sich ins Digitale
Doch zurück zur Low-Touch-Economy. Denn wo persönliche Treffen, Händeschütteln oder gesellige Feierabendrunden fehlen und die Menschen erschöpft sind, haben die Menschen Berührungshunger. Denn so sehr digitale Kommunikationsformen und -mittel auch Konjunktur haben, sie können längst nicht das kompensieren, was der Mensch über seine anderen Sinne, allen voran dem Tastsinn, wahrnimmt und bewertet. „Wir sehnen uns nach Berührungen. Und das ist“, so die gute Nachricht, die Olaf Hartmann im Gepäck hatte, „eine große Chance für unser Medium“.
Doch das heißt auch: „Wir müssen anschlussfähig werden an die Ziele der Marketers.“ Das mag zwar einfach und logisch klingen, ist aber längst nicht so trivial, denn: „Marketers verwalten die Budgets, und die sind in den letzten Monaten natürlich in Richtung Digitalisierung verschoben worden. Die Budgetschleusen gingen sofort auf, wenn die Kampagne das Wort digital beinhaltete“.
Das unterschätzte Medium
Dabei seien Marketers nicht generell auf alles Digitale gebucht, in erster Linie gehe es ihnen darum, Emotionen zu erzeugen, die richtigen Menschen – nämlich potenzielle Kunden – am richtigen Ort, zur richtigen Zeit zu erreichen, ihren Kampagnen-ROI und ihre Reichweite zu erhöhen und damit die Markenbekanntheit zu steigern, formuliert Hartmann die Qualitätskriterien, die Marketers an bei ihren Kampagnen anlegen. „Marketers bezahlen zwar für einen Kontakt, aber was sie wirklich wollen ist Wirkung“, fasste er kurz zusammen.
Interessant dabei sei, dass die Annahme der Marketers darüber, wie wirksam verschiedene Medienkanäle sind, ein anderes Bild zeichnet als es die tatsächlichen ROIs tun. Während gedruckte Medien auf der einen Seite (in der Annahme der Marketers) an Bedeutung zu verlieren scheinen, rangieren sie in der Liste tatsächlicher ROIs deutlicher weiter oben, wie die Auswertung von 50 Sekundärquellen, 75 Studien und die Ebiquity-Datenbank (UK) zeigen, auf die sich der Fachmann bezog.
„Natürlich haben wir nicht die Reichweite von Fernsehen, aber auf all diesen anderen Dimensionen, Emotionalisierung, die richtigen Leute erreichen, sind wir ganz stark dabei“, erklärte Hartmann. Trotzdem fließen viele Werbegelder ins Digitale, und das auch, weil diese Kanäle messbar seien. Das sei aber nicht immer ein Vorteil, wie der Fachmann erklärte, denn auch, wenn Käufe schlußendlich über Onlineshops auf dem Smartphone getätigt werden, heißt das nicht, dass sich Marken mit ihren Kampagnen ausschließlich auf das mobile Internet konzentrieren sollten.
„Diese Haltung ist natürlich falsch, und erklärt auch ein Stück, warum viele Marken in den letzten Jahren an Stärke verloren haben“, so Olaf Hartmann.
Der Mix macht’s
Stattdessen wies er darauf hin, wie viel mehr Wirksamkeit durch die Kombination mehrerer Medienkanäle erreicht werden kann. „Mit jedem zusätzlichen Kanal kann ich die Wirkung meiner Kampagne steigern. Das heißt nicht, zusätzliches Budget in die Hand nehmen zu müssen, sondern das gleiche Budget über mehr Kanäle zu verteilen. Damit kann ich die Wirksamkeit meiner Kampagne um bis zu 35 Prozent im ROI steigern.“ Das wiederum wurde anhand der Untersuchung von 3200 Kampagnen über fünf Jahre und in sieben Branchen untersucht. „Das heißt“, so Hartmann, „das ist keine Momentaufnahme, das ist ein Grundprinzip: Mehr Kanäle, mehr Wirkung. Und wenn man dann den Mix noch richtig hinbekommt, erreicht man das, was wir wollen, nämlich dass die Werberakete abhebt.“
Denn: Marketers wollen nicht in erste Linie einen TV-Spot oder eine Anzeige auf der Website XY – sie wollen Wirkung, Wirkung im Kopf der Zielgruppe erzielen, wie er beschreibt. „Und das ist der Grund, warum wir uns fragen müssen, was die Haptik, die haptische Werbung, im Bereich der Customer Journey leistet?“ Schließlich sei das die Zieldimension, die Marketers im Kopf haben.
ARIVA; Die 5 Dimensionen der haptischen Werbung
Fünf Dimensionen hat haptische Werbung – und damit auch gedruckte Werbung nach Aussage von Olaf Hartmann. „Die Haptik wird uns mehr Aufmerksamkeit bringen, Attention. Haptisch angereicherte Werbung kann man sich besser merken, es gibt mehr Recall, mehr Erinnerung. Haptische Werbung kann zudem mehr Glaubwürdigkeit (Integrity) erzeugen. Sie kann auch mehr Wertschätzung (Value) erzeugen und führt am Schluss zu mehr Action, mehr Kaufbereitschaft“, fasste der Geschäftsführer der Touchmore GmbH und Gründer des Multisense Instituts für multisensorisches Marketing zusammen und ging danach auf jeden Punkt noch einmal genauer ein. Denn darin stecken seiner Einschätzung nach genau die Argumente, die (Druck-)Dienstleister nutzen können, um die Wirksamkeit ihrer Produkte gegenüber den Kunden zu erklären.
Denn wer seinem Medienmix mehr haptische Produkte hinzufügt, bekommt auch mehr Aufmerksamkeit. Warum das so ist? „Man kann sich optisch und akustisch berieseln lassen“, so Hartmann, „aber haptisch nicht. In dem Moment, in dem sie Kommunikation greifbar machen, sind Sie physiologisch schon auf einem höheren Erregungsniveau, die Menschen hören Ihnen automatisch zu.“
Multisensorik ist die Königsdisziplin
Mit jedem Sinn, der in der Kommunikation zusätzlich integriert und angesprochen wird, wird im Kopf des Empfängers eine größere Spannung erzeugt, die Steigerung könne jeweils mit dem Faktor 10 bemessen werden. „Und das hat natürlich Einfluss darauf, wie die transportierte Information verarbeitet, bewertet, erinnert oder als glaubwürdig eingestuft – und begriffen wird.“
Dabei leite sich begreifen nicht umsonst vom Begriff „greifen“ ab, „denn das Verständnis der Welt und unser Verständnis von Botschaften und Marken sind ganz eng mit unserem Tastsinn verknüpft“. „Die Hand denkt mit“, wie Hartmann den Psychologie-Professor Dr. Dr. Manfred Spitzer zitierte. Zudem umgehe Fühlen die im Menschen längst „eingebauten, inneren Werbefilter“.
Hände sind das „Außengehirn“
Das heißt, es macht Sinn, Kommunikation haptisch anzureichern. Druckprodukte bringen die haptische Ebene ja schon einmal perse mit, aber das, was Olaf Hartmann mit haptischer Werbung meint, geht noch weiter, denn es schließt auch kreative Formen, Produkte mit Funktion und mit besonderen Veredelungen mit ein und verfolgt insgesamt den multisensorischen Ansatz. So müsse sich haptische Werbung (und damit auch Print) nicht vor digitalen Werbeformen verstecken. Ganz im Gegenteil, schließlich ist es das einzige Medien, das tatsächlich multisensorisch ist und damit alle Sinne ansprechen kann – wenn die Kampagnen gut und clever gemacht sind.
Das Auto im Briefkasten
Beispiele für durchdachte und hochwirksame, responsestarke Kampagnen hatte der Keynote-Speaker ebenso dabei: So gab es etwa in Spanien vor einigen Jahren eine Werbekampagne, in der Smart einen seiner Flitzer auf clevere Art und Weise bewarb. Denn in den Briefkästen der Empfänger stand plötzlich ein Auto, ebendieser Flitzer. Die Aufmerksamkeit war hoch, die Frage: Wie kommt das Auto durch den Schlitz in meinen Briefkasten? Die Empfänger beschäftigten sich also damit. Achtung, Spoiler: Das papierene Auto war mit einer Gummibandspannung versehen, die es in Form poppen ließ, nachdem das Mailing nicht mehr vom Postboten zusammengehalten wurde. So stand das Auto im Briefkasten und überbrachte die Werbebotschaft, die unter dem Auto aufgedruckt war: „It can even park in a mail box“ – „ich kann überall parken“ an die Leute, die vielleicht gerade noch entnervt nach einem Parkplatz gesucht hatten. Das Ergebnis: 16 Prozent Response.
Was Haptik alles kann
Und das ist nur eines der Beispiele, die Olaf Hartmann präsentierte. Andere Kampagnen integrierten beispielsweise Elemente, die sich bewegen oder herausziehen ließen – Bewegung verankert die Information – oder spielten damit, dass sie sich bewegen ließen, ähnlich wie der Rubix-Würfel, oder dass sie eine besondere, fühlbare Veredelung hatten.
Haptische Werbung bewegt, Haptik macht glaubwürdig. Berührung erzeugt Wertschätzung, gegenüber dem Absender und der Botschaft. Nicht vergessen werden darf laut Olaf Hartmann dabei aber auch eines nicht: „Der Wert eines Objektes ist kontextabhängig, es ist immer abhängig von seiner Geschichte.“ Und das bedeutet, dass unsere „Rolle als Branche ist, in Kommunikationsgeschichten, die Marken erzählen, Objekte mit Bedeutung aufzuladen oder die Möglichkeit zu sehen, wo und an welcher Stelle man Objekte mit einer Kampagne aufladen kann“.
Wer als Dienstleister um diese Eigenschaften seiner Produkte weiß, kann seine Kunden auch entsprechend beraten. Dann ist es keine Frage mehr nach Digital oder analog, nach Online- oder Printwerbung. Denn gerade, wer mehrere Kanäle kombiniert – und die Haptik könne hier eine ideale Brücke in die digitale Welt sein – der wird nicht nur mit einer deutlichen höheren Response-Rate belohnt, sondern bleibt den Menschen auch länger und positiv als Marke in Erinnerung. Höchste Zeit also, um sich mit dem Thema Multisensorik auseinanderzusetzen.
Dieser Artikel kann die Inhalte der Keynote nur in stark verkürzter Form wiedergeben. Wer den ausführlichen Vortrag nachhören will, der wird in der Mediathek der PSI Digital fündig.
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